Interview


September 2007
"Gloria: Meine Maria, meine Päpste, meine Protestanten"
Interview mit dem VATICAN-magazin über Marienverehrung, ihre Begegnungen mit Kardinal Joseph Ratzinger – und die lateinische Messe

Ihre Durchlaucht, Sie sind als große Marienverehrerin bekannt. Eine Marienerscheinung hatten Sie aber noch nicht?
Natürlich nicht … um Gottes willen!

Nun ja. Marienerscheinungen sind ja ziemlich häufig. Allein in Italien gibt es im Durchschnitt etwa hundert Erscheinungen pro Jahr …

Da bin ich skeptisch. Ich bin kein frömmelnder Mensch. Fromm ja, aber das frömmelnde Gehabe liegt mir sehr fern. Ich wäre für jede Sekte eine Fehlbesetzung. Ich fürchte, dass manche Leute, die solche Erscheinungen haben, an der Grenze zur Hysterie sind. Die verrennen sich dann in einen geistigen Hochmut, setzen sich über die Regeln der Kirche hinweg und über jede Disziplin. Die Hierarchie wird nicht mehr beachtet und sie halten sich für ermächtigt, ihr Glaubensverständnis absolut zu setzen. Wer nicht ihrer Meinung ist, den verteufeln sie dann – ganz wörtlich: Sie sind schnell bei der Hand mit der Unterstellung, ihre geistigen Gegner seien von bösen Dämonen oder gar von Satan persönlich inspiriert. So sind viele Sekten entstanden.

Sie glauben selbst an die „Vorsehung“? Wenn ich spazieren gehe und sehe etwas funkeln, dann bücke ich mich und hebe es auf. Meist ist es eine Glasscherbe, aber es könnte auch einmal ein Edelstein sein. So verstehe ich die Vorsehung. Im Leben gibt es viele Momente zu geistlichen Einsichten. Wo, wann und durch wen man etwas lernt, das mag Zufall sein. Aber die seelische Neigung zur Neugierde, die Bereitschaft zur Offenheit, das ist Teil einer Vorsehung. Wir sind durch die Vorsehung nicht in unserer Freiheit eingeschränkt.

Die letzten Päpste sind große Marienverehrer?

Johannes Paul II. war ein glühender Marienverehrer. Der jetzige Papst ist ein großer Jesusverehrer. Sein persönlicher Glaubenszugang geht wohl eher direkt zu ihrem Sohn, wobei er natürlich weiß, wie nahe ihm die Gottesmutter war, die er deshalb kaum weniger liebt.

Sind Sie dem Papst damals als Kardinal begegnet?

Ich bin ihm zum ersten Mal in den achtziger Jahren bei einem Staatsempfang in München begegnet. Schon damals ein imponierender würdiger Herr, der mich als junge Frau sehr beeindruckt hat. Bei der Tausendjahrfeier von Sankt Wolfgang in Regensburg hat er dann eine Predigt gehalten, die mich richtig ins Herz getroffen hat. Normalerweise schlafe ich bei Predigten ein, bei ihm war es das Gegenteil. Später hatte ich dann auch in Rom ab und zu die Gelegenheit, ihm auch im privaten Kreis zu begegnen. Einmal habe ich ihn gefragt, welche Heiligen er besonders verehre und wie er denn bete. Ob er auch die Heiligen anrufe? Von seinem Bruder weiß ich, dass seine Familie wohl eine der ganz wenigen Familien ist, in der auch noch der heilige Dismas angerufen wurde, das ist der gute Schächer am Kreuz, dem Christus in seiner Todesstunde versprach, dass er am selben Abend noch mit ihm im Paradies sein würde. Da hat er mir eröffnet, dass er sehr direkt zu Gott bete. Natürlich rufe er auch Maria an, worauf ich gefragt habe: „Und was ist mit dem heiligen Joseph?“ Da hat er mir väterlich versichert, dass er auch zu Joseph und der Gottesmutter bete. Aber ich hatte das Gefühl, dass ihm schon an der direkten Beziehung zu Jesus, zu Gott am allermeisten liegt.

Was halten Sie von der jüngsten Verlautbarung der Glaubenskongregation zur Klärung des Kirchenbegriffs? Stein des Anstoßes ist die Formulierung: Den aus der Reformation des sechzehnten Jahrhunderts hervorgegangenen Gemeinschaften „fehlt ein wesentliches konstitutives Element des Kircheseins. Vor allem wegen des Fehlens des sakramentalen Priestertums haben sie die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt und können nach katholischer Lehre nicht „Kirchen“ im eigentlichen Sinn genannt werden.“

Ich finde es fast lustig, dass man sich darüber aufregt. Genetisch habe ich auch den Protestantismus in mir. Meine Familie väterlicherseits ist erst spät zum Katholizismus übergetreten.

1869! Viele kennen ihre Vorfahren aus dieser Zeit gar nicht. Aber mütterlicherseits stammen Sie von sehr katholischen Ungarn ab? Wie ist das nun mit dem evangelischen Gen?

Das protestantische Gen in mir widerspricht jedenfalls sehr stark jedem Versuch, dass „wir Protestanten“ einfach von der katholischen Kirche einverleibt werden sollen. Wenn ich mich als Protestant ernst nehme, dann sind es doch genau die Unterschiede, die meine Identität ausmachen. Deshalb kann ich nicht begreifen, dass man sich als Protestant aufregt, wenn man vom Papst nicht als Kirche eingestuft wird. Das Verständnis, was Kirche und Priesteramt, was Sakrament und Ritus für eine Bedeutung haben, macht doch die zentrale Differenz zwischen den Konfessionen aus. Es gibt lutherische Gemeinschaften, die wesentlich strenger sind als wir Katholiken. Und ich finde, das muss man respektieren. Der Anspruch, wir seien alle gleich, den finde ich frech, anmaßend und respektlos. Man stelle sich vor, beim Deutschen Fußballbund tritt eine Fraktion mit dem Argument auf, die deutschen Frauen seien nun schon dreimal Weltmeister geworden, daher sollte man sie in der Männer-Nationalmannschaft mitspielen lassen. Dann würden wir womöglich schneller wieder Weltmeister. Das gäbe weltweit Hohn und Spott. Aber in Kirchenfragen fühlen sich viele berufen, genau nach diesem Muster zu handeln. Dass wir in Deutschland von „den Kirchen“ sprechen, das hat politische und finanzielle Gründe, theologisch präzise betrachtet kann es nur eine einzige wahre Kirche geben. Sonst müsste ich sagen: „Ihr seid zwar auch Kirchen, aber da wir die wahre sind, seid ihr die falschen Kirchen.“ Als Protestant, der an die Wahrheit seiner Konfession glaubt, kann es mir doch dann egal sein, was vom Heiligen Stuhl in Rom verlautbart wird, den Luther einst als Sitz der Hure Babylon aus der Apokalypse bezeichnet hat.

Fühlen sich vielleicht viele von der Erklärung bedroht, weil sie befürchten, bestimmte Vorrechte würden ihnen indirekt abgesprochen?

Die Kritik an der Erklärung hat vor allem politische Gründe. Das ist pure Anwendung politischer Korrektheit auf das Feld der Religion – wo sie nichts zu suchen hat.Man möchte im Grunde genommen die Kirche reduzieren auf einen Sozialbetrieb mit Transzendenzappeal. Plus Psychoberatung und emotionale Wellness-Atmosphäre. Dann gibt es natürlich noch die unterschiedlichen nationalen Mentalitäten. In Deutschland kennt man den antirömischen Effekt schon seit den Stauferkaisern, später in der Reformation und in den politischen Bewegungen der letzten beiden Jahrhunderte. Das lebt eben von Zeit zu Zeit wieder auf, aus allgemein menschlichen Affekten gegen Hierarchie.

Das „Motu proprio“ zur Tolerierung der tridentinischen Liturgie stieß auf heftige Kritik, erstaunlicherweise weniger bei den laizistischen Kommentatoren, die darin eine Vergrößerung des Freiheitsspielraums sahen, als in Kirchenkreisen. Seit dem Konzil hat sich das priesterliche Verständnis sehr gewandelt. Unter vielen Priestern gibt es die Tendenz, sich ganz an die säkulare Umgebung anzupassen. Das trifft auch auf die Liturgie zu. Diese Art von modernistischen Strömungen haben in die Messepraxis Einzug gehalten – das war zum Teil auch nicht weiter schlimm. Ich bin groß geworden mit Rockgottesdiensten, das hat mich nicht skandalisiert. Misstrauisch bin ich jedoch geworden, als ich vor etwa zehn Jahren mit einer religiösen Gemeinschaft bekannt geworden bin, die sich darauf spezialisiert hat, die alte Liturgie zu feiern. Mit der alten Liturgie ging auch einher, dass sie im Alltag den Talar trugen, ob auf der Straße, im Gasthaus oder bei der Gartenarbeit. Diese Priester berichteten, dass man sie in der Mehrheitskirche sehr abschätzig beobachte und oft wie Aussätzige und Abtrünnige behandle. Das hat mein Gerechtigkeitsempfinden gestört. Ich habe mir jahrelang stümperhaftes Schlagzeuggeklopfe und dilettantisches Gesinge in die Ohren blasen lassen und es brav hingenommen, und diese ehrenwerten Priester werden gemobbt, weil sie die Messe zelebrieren wollen, wie ich sie noch aus meiner Kindheit kenne und geliebt habe. Das habe ich nicht einsehen können. Nicht wenige haben die Liturgiereform als eine so gewaltige Kehrtwende verstanden, dass für sie gewissermaßen eine neue Religion geboren wurde. Sie fühlten sich wie von einem schweren Gepäck befreit, das sie über tausend Jahre gedrückt hatte.

Das Konzil hat doch die lateinische Messe gar nicht verboten? Ich habe diese Ideologisierung der Liturgie nie verstanden. Die Priester, die noch die alte Messe feierten, taten dies aus einer Verbundenheit mit dem jahrhundertealten Ritus, dem sie mehr Gebetstiefe zuschrieben, dadurch auch größere Gnadenwirkung als den neuen lockeren Formen – einer Jazzmesse etwa. Das Messeopfer kann nicht mit gleicher Intensität in den unterschiedlichsten Formen zelebriert werden. Die ideologische Voreingenommenheit gegen die alte Messe hat sich allerdings erst langsam entwickelt, ihren Höhepunkt hat sie erst in den letzten zehn Jahren erreicht.

Kardinal Ratzinger hat schon Anfang der 90er Jahre in einem Vorwort zur französischen Sammlung der Schriften Professor Gambers zustimmend festgestellt, dass der neue Ritus eine „gemachte Liturgie“ und nicht die „Frucht einer kontinuierlichen Entwicklung“ gewesen sei. Als Resultat sei „nicht eine Neubelebung, sondern eine Verwüstung“ herausgekommen. Ich habe in Frankreich erlebt, dass man mir auf das Ansinnen, durch einen befreundeten Priester eine Messe auf dem Hochaltar feiern zu dürfen, geradezu entsetzt antwortete: „Das kommt auf gar keinen Fall in Frage.“ Ich fragte, ob er denn alleine zelebrieren dürfe, er könne nicht so gut französisch. Wieder apodiktisch: „Nein, egal ob er französisch spricht oder nicht, hier zelebriert niemand allein.“ Diese verbohrte Ablehnung schien mir ein Symptom für den sklerotischen Zustand weiter Teile der Kirche zu sein. Man hat sich mit dieser Stehimbiss-Liturgie arrangiert. Man will sich nicht mehr an einen festlich gedeckten Tisch setzen.

Die Befürworter der Volksaltarliturgie betonen den gemeindedemokratischen Aspekt.
Da steckt eine tiefe ideologische Verbohrtheit gegen die alte Liturgie dahinter, deren wahren Gründe mir rätselhaft sind. Es ist fast ein Geheimnis, warum die Gegner des lateinischen Ritus oft einen solchen Hass an den Tag legen. Teile des Klerus beherrscht eine regelrechte Boykottstimmung gegen das „Motu proprio“. Soll hier das Weihepriestertum abgeschafft werden? Zugunsten von Gemeindevorstehern. Zugunsten einer Messe, die aus erbaulichem gemeinsamen Gebet und belehrender Betrachtung besteht, die ein mehr oder weniger entertainment-fähiger Gemeindeleiter frontal darbietet. Wo heilige Mysterien wie die Verwandlung von Brot und Wein auf dem Altar in das Fleisch und Blut Christi zu reinen Symbolhandlungen erklärt werden. „Eine Wischiwaschiökumene, bei der die Protestanten ein bisschen mehr auf den Papst hören und die Katholiken ein bisschen weniger in die Hostie hineingeheimnissen, wäre ein theologisches Desaster und würde die Überzeugungskraft des Christentums erst recht schwächen“, schrieb Matthias Kamann kürzlich in der WELT. Da ist etwas dran. Ich glaube aber nicht, dass wir Katholiken etwas „in die Hostie hineingeheimnissen“ – ganz im Gegenteil. Soll die Verwandlung von Brot und Wein auf dem Altar in das Fleisch und Blut Christi also zu reinen Symbolhandlungen erklärt werden? Wenn darin das Ziel liegen soll, dann verstehe ich die ganze Haltung der Ablehnungsfront. Aber dann sollen sie es auch offen sagen: „Wir wollen uns von Rom nicht mehr regieren lassen, wir brauchen kein Papsttum. Wir wollen einen sozialen Wellness-Betrieb mit Transzendenz-Appeal“. Damit wären wir beim Protestantismus angekommen.

Die Fragen stellte Albert Christian Sellner, Autor, Herausgeber und Antiquar in Frankfurt, Verfasser des „Immerwährenden Päpstekalenders“ (2006) und des „Immerwährenden Heiligenkalenders“ (1993), beide in der „Anderen Bibliothek“, hrg. von H. M. Enzensberger, bei Eichborn Verlag, Frankfurt, 2006 und 1993.

(www.vatican-magazin.de)

Download im PDF-Format

Marianische Frauen-Congregation Brosche